Ansgar Hantke

psychotherapeutische Praxis

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Abschied. Abschiednehmen. Abschiednehmen von diesem Jahr. Abschiednehmen fällt vielen Menschen nicht einfach. Dabei ist Abschiednehmen etwas was zum Leben des Menschen gehört. Unser ganzes Leben besteht quasi aus Abschieden. Abschied kommt von ab-scheiden. Das eine wird von dem anderen abgeschieden. Es wird gelöst, es wird getrennt. Auch wer sich nicht verabschieden möchte, kommt am Abschiednehmen nicht vorbei. Abschiednehmen hat auch etwas mit Entwicklung zu tun. Wer sich nicht weiter entwickelt, den lassen die anderen zurück. Wenn sich Menschen unterschiedlich entwickeln oder in unterschiedliche Richtungen entwickeln, müssen sie auch abschiednehmen. Sie treffen womöglich dann auf andere Menschen, die für eine bestimmte Zeit die gleiche Richtung der Entwicklung gewählt haben. Menschen begleiten einander, um später wieder voneinander zu scheiden. Abschied beginnt quasi ganz am Anfang unseres Lebens. Da muss sich eine Eizelle von vielen anderen verabschieden, um zunächst befruchtet zu werden und um dann die Grundlage für ein neues Leben zu schaffen. Vom Embryo zum Fötus entwickelt sich dieses neue Leben, ein Zurück gibt es nicht. Mit der Geburt verabschiedet sich das neue Leben vom Mutterleib, der es vollumfänglich bis dahin versorgt hatte. Der Säugling muss sich dann von vielen anderen Dingen loslösen und damit verabschieden. Er muss sich unter anderem von der Mutterbrust oder der Flasche lösen, vom Krabbeln, vom Schreien als einzige Kommunikationsmöglichkeit. Er muss sich vom Bild verabschieden, dass sich alles um ihn dreht, muss Autonomie entwickeln, die im Laufe der Entwicklung eine zunehmende Distanz zu den Fürsorgepersonen ermöglicht. Das Kind muss sich schließlich von der Idealisierung der Eltern lösen, um eine Vorstellung darüber zu bekommen und zu entwickeln, wohin es eigentlich will. Ausreichend interessierte und fürsorgende Eltern begleiten ihr Kind und ermöglichen diesem ausreichend Raum für eigene Vorstellungen über eine eigene Lebensgestaltung. Mit der Jugend beginnt der Abschied durch die Loslösung von den Eltern, aber auch ein Abschied vom Kindsein. Ein Abschiednehmen vom kindlichen Körper, ein Abschiednehmen von der kindlichen Vorstellungswelt und den damit verbundenen Interessen. Die Adoleszenz kann ein großes Risiko, aber auch eine riesige Chance darstellen. Es ist nicht selten, dass das Abschiednehmen vom Elternhaus entweder mit einem Getöse oder im Stillen von statten geht. Beides ist problematisch. Mancher junger Mensch kann sich nicht lösen und verabschieden, weil er die Legitimation durch die Eltern nicht erkennt. Wenn Eltern zum Beispiel mit sich selbst zu tun haben, seelisch krank sind und den jungen Menschen dadurch binden. Aber auch, wenn Eltern dem jungen Menschen nicht ausreichend signalisieren, dass sie in ihn Vertrauen setzen, sein Leben zu meistern. Abschiede haben also auch immer etwas mit Bindung lösen zu tun. Vielleicht wäre es an diesem Punkt sinnvoll, eher zu formulieren, Abschied kann auch bedeuten, die Bindung zu modifizieren. Die Bindung zu den Eltern erfährt im Laufe des Lebens Veränderung. Die Beziehung muss neu gestaltet, wenn dies nicht gelingt, tatsächlich-und manchmal-endgültig gelöst werden. Entwicklung, Veränderung, Abschied, Trennung, Bindung eingehen und lösen sind wesentliche Aspekte unseres Lebens. Mit dem Alter verabschieden wir uns zunehmend von unseren Fähigkeiten, spontan und flexibel zu handeln (liquide Intelligenz), gleichzeitig können wir auf reichhaltige Erfahrung zurückblicken (kristalline Intelligenz), die uns zunehmend Frieden schließen lässt, unabänderliche Dinge hinzunehmen. Für manchen ist es auch dann der Abschied von der Gesundheit, für alle schließlich der größte Abschied: der eigene Tod, der endgültige Abschied vom Leben.

Der emotionale Umgang mit Abschied erwächst aus der Erfahrung mit den primären Bezugsperson, denn jeder Abschied kann auch Unsicherheit und fehlender Halt bedeuten. Abschied geht mit Trauer, aber auch Wut einher. Wut darüber, dass jedes Glück, jedes schöne Erlebnis, alle Dinge dieser Welt begrenzt sind und nicht von Dauer. Kohelet schreibt: „Alles Windhauch, alles Luftgespinst“. Aus diesen Worten spricht Frustration, und ich meine gar, Trauer darüber, dass wir Menschen keinen wirklichen Einfluss auf dieses Dasein mit seinen vielen Höhen und Tiefen haben. Man könnte hier auch hinzufügen: „unter jedem Dach ein Ach“, was den meisten bekannt sein dürfte und ausdrückt, dass wir Menschen am Abschiednehmen und den damit verbundenen Gefühlen wie Schwere, Trauer, Wut, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Schmerz nicht vorbeikommen.

Doch mit jedem Abschied öffnet sich immer auch eine neue Tür, die wir wagen dürfen, zu durchschreiten. Wer dieses Wagnis eingeht, der darf erkennen, dass hinter dieser Tür etwas Neues beginnt. Frohe Weihnachten!