Herzinfarkt oder Panikattacke
Aus aktuellem Anlass widme ich mich diesem Thema. Denn nicht selten wird der Arzt genau vor diese Frage gestellt. Leider werden im Rahmen des akuten Brustschmerzes genau diese Diagnosen viel zu selten diskutiert. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass in letzter Zeit Patienten einen Herzkatheter bekommen, bei denen dieser überhaupt nicht angezeigt ist.
Ich bin entsetzt darüber, da natürlich jeder Eingriff auch ein nicht unerhebliches Risiko für den Patienten darstellt (u.a. Schlaganfall, Herzinfarkt, Blutung). Mein Eindruck ist, dass sich die Ärzte zu wenig Zeit für die Krankheitsvorgeschichte (Anamnese) und die körperliche Befunderhebung nehmen.
Vermeidbare Fehler auf Seiten des Arztes:
1) Zeitdruck
2) Keine ausreichende Befunderhebung (dazu zählt u.a. auch die Untersuchung des Brustkorbes mit Abhören, Abtasten (Abklopfen) und Überprüfung der Beweglichkeit (Kompression) des Brustkorbes und der Wirbelsäule und der damit verbundenen Gelenke sowie der angrenzenden Organe (u.a. Oberbauch)
3) Keine ausreichende Erhebung der Krankheitsvorgeschichte (Panik, Angst oder Depression in der Vorgeschichte, Wirbelsäulenerkrankung, Rheuma, Arthrose etc.)
4) Verleugnen der häufigsten Differentialdiagnosen* (welche Ursache kann hinter dem Brustschmerz liegen)
5) “nicht zuhören” (Wahrnehmung der Person auf emotionaler, körperlicher und geistiger Ebene)
6) Abklärung der Bedeutung des Schmerzes für die Person
7) Nicht nachvollziehbarer Glauben allein an technische Untersuchungen (Herzkatheter, MRT, CT, Labor etc.)
8) Leitlinien (z.B. Marburger Herzscore s.u.) werden ignoriert (Leitlinien geben dem Arzt eine Orientierung (Roten Faden) an die Hand, was unter welchen Umständen das sinnvollste Vorgehen darstellt)
Unterscheidungsmerkmale:
Herzinfarkt Panikattacke
Druck, Brennen über der Brust Stiche, “Pieksen”, Ziehen,
Brennen (kann den Schmerz
punktgenau lokalisieren)
Ev. mit Ausstrahlung in den Hals, Rücken, Ev. mit Sensationen
Oberarme oder Oberbauch wie “Kribbeln” oder Taubheits-
gefühl im linken Arm
Durch körperliche Belastung schlimmer Besonders in Ruhe, in
Menschenmengen, “vor der
Kasse“, “auf dem Sofa”, im
Bett, OHNE Körperliche
Belastung
Hat Risikofaktoren (Bluthochdruck, Zucker, Eher keine oder selten mehrere
Cholesterin, Nikotin, Herzinfarkt in der Risikofaktoren
Familie)
Nach dem Essen, in der Kälte schlimmer Häufig atemabhängig, Schmerz
lässt sich unter Umständen von
außen auslösen
Vegetative Symptomatik: Mund trocken, Kloßgefühl im
Blasses Aussehen, Kaltschweißigkeit, Hals, Zittern, innere Unruhe
Übelkeit, Luftnot etc.
Ev. mit Hyperventilation
(schnelles Atmen)
Bagatellisieren der Beschwerden Eher Dramatisieren der
Beschwerden
*Die aktuell häufigsten Differentialdiagnosen (also Diagnosen, die sonst noch in Frage kommen) finden Sie unter dem Vortrag “Herz” (Aktuelle Beiträge) Folie 38
Als Leitlinie mit der Frage nach einem Herzinfarkt gilt der sogenannte Marburger Herz-Score:
Bewertung und Erläuterung der Kriterien ja nein
Höheres Alter? 1P 0P
Männer >=55, Frauen >=65 Jahre
Vermutet der Patient, eine Herzkrankheit 1P 0P
als Ursache? “viele Menschen machen sich
Sorgen, dass es das Herz sein könnte. Vermuten
Sie das auch?” oder: “Verstehe ich Sie
richtig: Sie vermuten, dass die Beschwerden
etwas mit dem Herzen zu tun haben?"
Sind die Beschwerden abhängig von 1P 0P
Körperlicher Belastung? Als “ja” gilt, wenn
die Beschwerden durch körperliche Belastung
ausgelöst oder verstärkt werden. Nicht als “ja”
gilt, wenn die Schmerzen durch bestimmte
Körperhaltungen ausgelöst oder verstärkt
werden.
Sind die Schmerzen durch äußerlichen 0P 1P
Druck reproduzierbar?
Ist bereits eine Gefäßerkrankung bekannt? 1P 0P
(hierzu zählen Schlaganfall, Herzkranz-
gefäßverengung (KHK, Herzinfarkt), verengte
Blutgefäße in den Beinen (pAVK) oder
Halsschlagadern)
Auswertung Risikoscore:
Punkte Wahrscheinlichkeit (für Herzkrankheit)
0/1 Sehr gering (<1%)
2 Gering (5%)
3 Mittel (25%)
4/5 Hoch (65%)
Falls Sie Fragen haben, sprechen Sie mich bitte an!