Als Beispiel von Übertherapie und Überdiagnostik stelle ich die bisherige und aktuelle Behandlung der Schilddrüsenerkrankung Autoimmunthyreoditis Hashimoto vor.
Neuesten Leitlinien ist zu entnehmen, dass es zukünftig einmalig ausreicht, nach Antikörpern – typisch für die Hashimoto Thyreoditis sind MAK (auch TPO-AK: AK gegen thyreoidale Peroxidase, zu 90% positiv bei Hashimoto), weniger TAK (Thyreoglobulin AK, zu 70% positiv bei Hashimoto) – zu suchen, wenn der TSH Wert z.B. im Rahmen einer Routine Blutuntersuchung erhöht ist. Da es einige äußere Einflussfaktoren (Alter, Medikation, Gewicht etc.) gibt, die die Höhe des TSH Wertes beeinflussen können, wird aktuell aber zunächst eine Kontrolle des TSH Wertes – falls er nicht im Normbereich gelegen hat – unter den selben Bedingungen (Uhrzeit, nüchtern, Tbl. Einnahme) wie bei der ersten Blutentnahme gefordert. Sollte auch dieser Wert erhöht sein, sind die Bestimmung des Antikörperstatus sowie ein Ultraschall SINNVOLL.
Bestätigt sich dabei der Verdacht auf eine Autoimmunthyreoditis Hashimoto, ist je nachdem, ob eine Funktionsstörung vorliegt oder nicht, eine Therapie mit L-Thyroxin angezeigt oder nicht.
Im Einzelnen:
1.Latente Schilddrüsenunterfunktion* (TSH erhöht: zwischen 4,0 und 10,0 mU/L), Antikörper negativ, keine Beschwerdesymptomatik: KEINE Therapie
2.Manifeste Schilddrüsenunterfunktion* (TSH erhöht > 10,0 mU/L), Antikörper negativ, keine Beschwerdesymptomatik: Therapie mit L-Thyroxin
3.Latente Schilddrüsenunterfunktion, Antikörper positiv (MAK und/oder TAK), keine Beschwerdesymptomatik: KEINE Therapie
4.Latente Schilddrüsenunterfunktion (TSH erhöht >6,0 mU/L), Antikörper positiv, mit Beschwerdesymptomatik: Therapie mit L-Thyroxin
5.Manifeste Schilddrüsenunterfunktion, Antikörper positiv, mit oder ohne Beschwerdesymptomatik: Therapie mit L-Thyroxin
Hinweis: bei erhöhtem TSH >10 mU/L und normalen fT3 und fT4 (eine Seltenheit) sprechen wir von „schwerer latenter Schilddrüsenunterfunktion“
Eine manifeste Schilddrüsenunterfunktion sollte also auf jeden Fall behandelt werden – unabhängig vom Antikörperstatus – , weil ein Mangel an Schilddrüsenhormon zu schwerwiegenden Folgen wie Herzschwäche und Depressionen führen können!
Überdiagnostik: die bisherige jährliche Wiederholung der Bestimmung der Antikörper bei einmalig nachgewiesenem positiven Antikörpern bei Hashimoto Thyreoditis ist weder sinnvoll noch hat sie einen Einfluss auf Prognose oder Therapieverlauf. SINNVOLL hingegen ist die anfangs halbjährliche in den ersten zwei Jahren, dann jährliche Bestimmung des TSH.
NICHT sinnvoll ist die sonographische (Ultraschall) Kontrolle einer Hashimoto Thyreoditis (bisher jährlich). Die anfangs einmalig durchgeführte Sonographie mit Darstellung des typischen sonographischen Bildes (echoarmes oder echofleckiges Schilddrüsenmuster) dient nur der Diagnosebestätigung.
Die vor allem bei Fachärzten durchgeführte Szintigraphie ist bei einer Hashimoto Thyreoditis ebenfalls NICHT sinnvoll, weder bezüglich der Diagnose noch der Therapie und Prognose.
Übertherapie: Die oft auch noch heute durchgeführte und früher auch von Autoren empfohlene generelle Therapie bei latenter Schilddrüsenunterfunktion ist obsolet (nicht mehr entsprechend dem wissenschaftlichen Stand). Sie bringt keinen zusätzlichen Nutzen. Im Gegenteil: Sie birgt die Gefahr der Entwicklung einer Hyperthyreosis factitia, heißt: durch die ärztliche Verordnung von L-Thyroxin entwickelt sich eine SchilddrüsenÜberfunktion!
Wann kann der TSH Wert erhöht sein, obwohl keine Schilddrüsenfunktionsstörung vorliegt?
-aufgrund des Alters: bei 70-79 Jährigen gelten TSH Werte bis 5,9 mU/L als normal, bei > 80 Jahre bis 7,5 mU/L
-aufgrund des Gewichtes: je schwerer ein Mensch um so höher der TSH Wert
-aufgrund von Medikamenten: z.B. → Amiodaron → Lithium → MCP → Sulpirid → Domperidon
Verordnung bei Übelkeit und Erbrechen: MCP, Domperidon
Verordnung bei psychischen Störungen: Sulpirid, Lithium
Verordnung bei Herzrhythmusstörungen: Amiodaron
* Begriffe wie latente und manifeste Schilddrüsenunterfunktion finden Sie im Artikel "Schilddrüsenunterfunktion - ein häufiges Thema" erklärt