Es ist unglaublich, aber wahr. Der aktuelle Gesundheitsminister Lauterbach setzt das fort, was sein Vorgänger Spahn in seinem Gesetzeswahn bereits auf den Weg gebracht hatte: die Telematik Infrastruktur (TI). Aus der heutigen Perspektive eine Totgeburt, die immer noch versucht wird, zu reanimieren, zu beatmen, am Leben zu erhalten, obwohl auf dem Boden einer Technik von vor mehr als 15 Jahren entwickelt. Ein "gesundheitspolitischer BER", das Flughafenprojekt Berlin, wie eine bekannte Zeitung titulierte. Noch vor wenigen Monaten hatten Ärzte gehofft, dass Lauterbach diesem ambitionierten Spahn – Wahn ein Ende bereitet, weil er die Einführung von eAU (elektronische Krankmeldung) und eRezept (elektronisches Rezept) aussetzte, doch nun haben wir es seit wenigen Wochen schriftlich: der Unsinn findet eine Fortsetzung. Unsinn? Ich werde im Folgenden versuchen, die Telematik Infrastruktur als das zu sehen, was sie darstellt:

Einen (misslungenen) Versuch, eine bessere Vernetzung und damit Kommunikation verschiedener "Player" im Gesundheitswesen herzustellen, um schneller, sicherer und einfacher zu agieren. Um die Effektivität dieses Versuches messbar zu machen, muss sich dabei die TI den gleichen Kriterien stellen wie wir Ärzte gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung und den gesetzlichen Krankenkassen. Für jede Behandlung, Therapie, Verordnung, jedes Medikament haben wir Ärzte zu prüfen, ob diese Maßnahme ausreichend, zweckmäßig, notwendig und wirtschaftlich ist. Dabei wird unter Ausreichend eine Behandlung verstanden, wenn sie nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen für eine Heilung bietet und einen Mindeststandard garantiert. Unter Zweckmäßig, wenn sie zur Herbeiführung des Heilerfolgs geeignet und hinreichend wirksam ist. Notwendig, wenn sie unentbehrlich, unvermeidlich oder unverzichtbar ist. Wirtschaftlich, wenn die gewählte Therapie im Vergleich zu anderen ein günstiges Verhältnis von Kosten und Nutzen aufweist. Falls die Krankenkasse eins dieser Kriterien in Frage stellen sollte, so wird ein Prüfantrag in die Wege geleitet, mit der Folge, dass der Arzt – falls er keine sinnvolle Erklärung für seine Verordnung vorlegen kann – für die Kosten aufkommen muss. So können wir uns nun anschauen, ob diese "Behandlung" oder besser Prozedur der Telematik Infrastruktur TI 1.0. den Kriterien entspricht oder nicht. Tut sie natürlich nicht. Schon aus einem ganz sachlichen Grunde: die Technik ist veraltet! 2006 sollte sie starten, brauchte dann aber den Profilneurotiker Spahn, der sie 2018 mit Vehemenz einführte.

Ist die TI wirtschaftlich? Ein klares Nein! Nutzen – Kosten Verhältnis grauenhaft schlecht. Zum heutigen Zeitpunkt sind bereits mehrere Millarden Euro verhökert worden. Unnötige Kosten u.a.

  1. aufgrund vieler Sicherheitslecks (am Anfang waren es mehr als 240 (!) Sicherheitslücken), weswegen immer wieder nachgebessert werden musste
  2. nach Einführung zeigten sich landesweit in Praxen nicht oder nur teilweise funktionierende Konnektoren (Systemabstürze u.a. beim Einlesen der Versichertenkarten, statische Aufladung) mit der Folge von technischer Nachrüstung oder Konnektorentausch
  3. nachdem die gematik ("Nationale Agentur für digitale Medizin", trägt die Gesamtverantwortung für die Telematikinfrastruktur) zunächst ein Update der seit 2018 in Betrieb befindlichen Konnektoren in Erwägung gezogen hatte, empfahl sie zuletzt doch einen Konnektortausch (die Verwendbarkeit des Konnektors ist aufgrund eines Zertifikates auf 5 Jahre begrenzt), weswegen diese nach und nach verschrottet und ersetzt werden müssen. Kosten pro Konnektortausch etwa 2300,- Euro
  4. überhöhte Kosten und Preisabsprache zwischen den drei Konnektorenanbietern: Das "Herzstück" der TI in der Praxis, der Konnektor, eine Art DSL Router, ist eine Box, deren Bestandteile nicht mehr als 100,- Euro Wert haben, der aber zwischen 1500,- bis 2000,- Euro angeboten wird (s. Secunet, CGM)

Ist die TI notwendig? Notwendig würde nach o.g. Definition heißen: unentbehrlich, unverzichtbar, unvermeidlich. Nein! Sie wäre wie jede andere "Therapie" unentbehrlich, wenn es keine Alternative geben würde, wenn die gesundheitliche Versorgung erheblich leiden würde, wenn das Gesundheitssystem möglicherweise vor dem Kollaps stehen würde (z.B. nicht ausreichend Ärzte oder nicht genügend Geld). Dies trifft allerdings nicht zu. Die gesundheitliche Versorgung ist in Deutschland immer noch sehr gut, ja, es besteht sogar eine Überversorgung, heißt, es wird zu viel des Guten getan. Hier könnte tatsächlich eine bessere Kommunikation zwischen den Ärzten helfen, um Kosten einzusparen. Doch diese könnte ganz unabhängig von einer "globalen" Lösung wie die TI sich darstellt entwickelt werden und jeder Arzt dürfte sich freiwillig dafür oder dagegen entscheiden.

Ist die TI zweckmäßig? Bisher Nein! Nach der o.g. Definition zählt zum Zweck eine schnellere, sichere und einfachere Kommunikation. Dass die TI nicht sicher ist, ist selbsterklärend. Sie kann nicht sicher sein, weil sie ein Abbild der Sicherheitsstandards aus dem Jahr 2006 darstellt. In der Medizin nennen wir so etwas "obsolet", übersetzt: "überholt" oder "nicht mehr dem wissenschaftlichen Kenntnisstand entsprechend". Außerdem zeigen sich Immer wieder Sicherheitslücken (s. Konnektor von Secunet übermittelte Log Dateien). Und schnell? Nach derzeitigem Prozedere dauert das Einlesen der Versichertenkarte mit TI etwa eine Minute, ohne TI zehn Sekunden. Warum? Jedesmal beim Einlesen werden über den Konnektor und Internet die Daten des Versicherten mit denen der Krankenkasse abgeglichen, das sogenannte Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) wird aktiviert.

Ist die TI ausreichend? Gewiss die schwierigste Frage von allen vieren. Garantiert sie einen Mindeststandard? Ja! Aber nur auf dem Niveau von 2006! Gibt sie uns eine hinreichende Chance im Umfang und Qualität, das Problem zu lösen? Dazu müssen wir erst einmal klären, welches Problem gemeint ist, was hier gelöst werden soll. Geht es um das Problem "Patientenversorgung" oder das Problem "Forschung"? Ich kann kein "globales" Problem erkennen. Ob im Bereitschaftsdienst oder in der täglichen Arbeit, gravierende Schwierigkeiten erkenne ich nicht in Bezug auf Vernetzung und Kommunikation mit Kollegen. Auch habe ich in den meisten Fällen ausreichend Daten durch die erhobenen Befunde vor Ort. Gewiss würden mir viel weniger Daten genügen. Auch würde ich mich freuen, wenn die Übermittlung von Arztbriefen nur noch elektronisch geschehen würde, um den "Papierberg" zu bewältigen. Andererseits: wenn ein Patient wechselt oder Einsicht in seine Patientenakte haben möchte, muss ich diese nicht wieder ausdrucken (nachdem ich die Berichte vorher mühsam eingescannt habe).