Ein Drittel meine Praxis aufsuchende Klientel zeigt einen unsicher-ambivalenten Bindungsstil. Sich wiederholende widersprüchliche Beziehungsangebote-so die Bindungstheorie-können in der frühen Kindheit zu diesem unsicher-ambivalenten Bindungsstil führen. Unter widersprüchlichen Beziehungsangeboten ist zu verstehen, dass die primären Bezugspersonen (Mutter, Vater etc.) auf das Verhalten des Kleinkindes entweder zeitlich versetzt oder gleichzeitig auf verschiedenen "Kommunikationskanälen" (verbal, nonverbal) sich gegensätzlich emotional äußern. Zum Beispiel lächelt eine Mutter während sie das Kind ausschimpft, weil es in einem Geschäft die unterste Schublade ausräumt. Oder ein Kind erhält einmal ein bestätigendes Lächeln des Vaters während es die "On" Taste des Computers betätigt, ein anderes Mal ist dieser außer sich und gibt dem Kind einen Klaps. Oder: Mal ist es für die Bezugspersonen in Ordnung, wenn das Kind, weil es weint, zu ihnen kommt. Es wird gedrückt und beruhigt. Ein andermal wird dieses Kind von den gleichen Bezugspersonen zurückgewiesen, in dem es belächelt oder verurteilt wird. Ein Patient fasst sein Erleben so zusammen: „es war ganz egal, wie ich reagiert habe, es war immer falsch.“ Dies zeigt die unheilvolle Folge – nämlich das sich hieraus entwickelnde zeitlich überdauernde dysfunktionale Denkmuster – einer sich immer wiederkehrenden unsicher-ambivalenten Beziehungserfahrung. Diese negative Folge besteht darin, dass das Kind die Reaktion des Erwachsenen nicht vorhersehen kann und deswegen stetig unter Spannung/Unruhe steht. Um dennoch "Sicherheit in der Unsicherheit" herzustellen, entwickelt das Kind z.B. einen wie den o.g. "Glaubenssatz" ("es war ganz egal..."). Wesentlich ist hierbei, dass dieses Beziehungsgeschehen viele Wiederholungen braucht, um als pathologisch für die Bindung zu gelten. Wesentlich ist auch, dass das Kind und damit später der Patient selber bei diesem unheilvollen Beziehungsmuster mitwirkt, indem es/er dafür sorgt, dass der dysfunktionale Denkmuster weiter Bestand hat"

Das zentrale Element dieses Bindungsstiles kann damit als Innere Zerrissenheit oder auch Unvereinbarkeit gegensätzlicher Gefühle beschrieben werden. Nach außen hin zeigt sich diese Zerrissenheit emotional durch überschießende Reaktionen (Impulsivität) und Unruhe, auf der kognitiven Ebene durch Miss – und Fehldeutungen sowie Beziehungserleben (jegliches Verhalten anderer wird auf sich bezogen). Es (das zentrale Element) führt zu einer dauernden Gespanntheit in Beziehungen, weil der Partner mit einem unsicher-ambivalenten Bindungsstil unbewusst folgendes agiert: „mit (dir) geht nicht, ohne (dich) gehts aber auch nicht“ (Unter Agieren wird ein unbewusstes nicht kommuniziertes Handeln verstanden). Er hat quasi die Widersprüchlichkeit aus den Beziehungserfahrungen mit seinen Eltern in seine Partnerschaft übernommen. In Partnerschaften setzt dieses häufig einen Bindungspartner voraus, der selbst (emotional) so stabil ist, dass er das "Hin und Her" der fehlenden Fähigkeit des Patienten, diese Zerrissenheit zwischen Nähe - und Distanzwünschen zu regulieren, aushält.

Während Patienten mit einem unsicher – vermeidenden Bindungsstil ihre Emotionen/Gefühle (bis zu deren Unkenntlichkeit, also zu stark) "down" regulieren, machen Patienten mit einem unsicher – ambivalenten Bindungsstil sprichwörtlich aus "einer Mücke einen Elefanten" oder "viel Lärm um nichts", also eine "up" Regulation. Ihnen fehlt schlichtweg die Fähigkeit, "den richtigen Ton" zu treffen, ihr Gefühlsleben angemessen zu regulieren. Dies ist gut nachvollziehbar, wenn Sie sich vorstellten, Sie sein unter stetiger heftiger Anspannung. In so einer Situation reagiert auch ein gesunder Proband übermässig, ist schreckhaft und sein Ausdruck nicht mehr adäquat. Doch zurück zum unsicher – ambivalenten Bindungsstil. Durch die Bindungserfahrungen aus der Kindheit führt dieser Bindungsstil folgerichtig zu mehr Misstrauen, denn unsicher – ambivalente Individuen gehen davon aus, dass der Bindungspartner ihnen nicht sicher ist. Misstrauen führt seinerseits zu mehr Kontrolle und dem Versuch der Absicherung. Der Bindungspartner ist dabei nicht selten verwirrt oder irritiert oder ärgert sich, weil er sich durch die Kontrolle bedrängt fühlt. Somit überträgt sich eine Spannung auf den Bindungspartner, der seinerseits nun zu heftig reagiert. Nicht selten führt das zur Eskalation mit der Androhung oder Umsetzung einer Trennung. Trennungen sind beim unsicher – ambivalenten Bindungsstil häufig, Beziehungen eher von kurzer Dauer. Wenn es zur Trennung kommt, ist es nicht selten so, dass Menschen mit einem unsicher – ambivalenten Bindungsverhalten die Beziehung nicht wirklich beenden. Sie können schlecht oder keinen Schlussstrich ziehen und "wärmen" Beziehungen gern wieder auf. Sie stehen dann zwischen dem Idealisieren ("das war so schön") und Entwerten ("der letzte Dreck"). Auch sie – analog zum unsicher – vermeidenden Bindungsstil – haben einen Mangel an "Werkzeugen" in ihrem Werkzeugkasten:

Die Selbstwahrnehmung zeigt eine deutliche Verzerrung, einhergehend mit einem Mangel an Identitätsgefühl. Auch die Objektwahrnehmung ist bis nahe zur Unkenntlichkeit verändert, die Objekte werden als groß, bedrohlich oder auch idealisiert ("zu rosarot") dargestellt. Manchmal über -, ein andermal unterschätzen sie ihre Fähigkeiten. Sie unterscheiden sich im Kommunikationsverhalten zu ihrem Gegenüber ganz erheblich vom unsicher – vermeidenden Typus. Sie sind lauter, direkter, schneller bzw. spontaner, wenig feinfühlig. Sie haben wenig Kontrolle über das Ausmaß ihrer Emotionsäußerung (Affektkontrolle, Affekttoleranz usw.). Umgekehrt sieht es in der Kommunikation nach Innen aus (hier fehlt ihnen das Halt gebende Objekt aus der Kindheit) sowie die Bindung nach Innen. Dadurch, dass sie keinen Halt im Sinne eines Selbstvertrauens nach Innen haben und die Bindung zu den Eltern bzw. zu einem Elternteil unsicher war, geraten sie schnell in Selbstzweifel, wenn sie sehen, was sie angerichtet haben. Neben der fehlenden Emotionskontrolle und dem Mangel an Selbstwert zeigen unsicher – ambivalente Individuen eine besonders ausgeprägte Neigung zum Agieren (s.o.). Was ihnen hier fehlt ist die Fähigkeit, zu mentalisieren, heißt, die in ihnen aufkommenden Bedürfnisse, Motive und Wünsche auszusprechen, zu kommunizieren. Dies setzt nämlich voraus, dass diese bekannt und bewusst sind. Genauso wie die Gefühle sind aber auch die Bedürfnisse recht widersprüchlich. In einer therapeutischen Beziehung gilt es deswegen diese Widersprüchlichkeit in den Fokus zu rücken und die Fähigkeit einzuüben, diese aushalten zu können.

Neben der Widersprüchlichkeit in der emotionalen Antwort zeigen elterliche Bezugspersonen in einer unsicher – ambivalenten Bindung zum Kind wenig bis kaum Feinfühligkeit. Ihnen fehlt "das Händchen" für den adäquaten Umgang mit dem Kleinkind. Nicht selten stecken dahinter eigene Trennungserfahrungen, gar eine Ablehnung des Kindes, Überforderung bzw. eigene psychische Belastungen. Heißt: häufig brauchen die Eltern von unsicher – ambivalent gebundenen Kindern selber psychologische Hilfe. Sie sind zu sehr mit den eigenen Bedürfnissen und denen des Kindes "verstrickt".

 

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