Wir sind gewohnt zu handeln. Wenn Sie mit Beschwerden in die Praxis kommen, wünschen Sie, dass wir etwas tun. Allerdings ist das häufig nicht sinnvoll, wie wir wissen. Im Gegenteil, es kann Ihnen gar Schaden zufügen. In der Allgemeinmedizin ist diese Erkenntnis schon seit Jahrzehnten bekannt. Wir tun häufig nichts, sondern warten ab: auch als "abwartendes Offenlassen" bezeichnet.

Denn die meisten Beschwerden mit denen Patienten in die Praxis kommen, verschwinden irgendwann von allein. Ohne Hinzutun. Diese Erkenntnis ist nun auch bei unseren internistischen Kollegen angekommen. Lesen Sie dazu mehr.

Wenn Nichtstun die beste Option ist. Unter diesem Motto wurde eine Initiative „Klug entscheiden“ von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ins Leben gerufen. Diese orientiert sich an der US amerikanischen „Choosing Wisely“ Kampagne, die bereits seit 2012 existiert.

Nun, was ist da eigentlich so neu daran? Bereits seit Jahrzehnten ist dies gelebte Realität bei den Hausärzten. Wir nennen dies „Abwartendes Offenlassen“, wenn wir erst einmal Nichtstun und beobachten, wie sich ein Symptom, ein Krankheitsbild oder ein Phänomen entwickelt. Als Hausarzt greife ich nur ein, wenn sich Zeichen eines „abwendbaren gefährlichen Verlaufes“ zeigen, d.h. wenn

es problematisch wird und Komplikationen sich entwickeln.

Ich bin also erstaunt, dass es tatsächlich so etwas wie Entwicklung in der Medizin gibt. Obwohl diese Erkenntnis des Nichtstun als beste Behandlungsmöglichkeit ja schon Jahrtausende alt ist.

Endlich wird auch erkannt oder besser: anerkannt (!), dass durch unnötiges ärztliches Handeln Schaden am Patienten entstehen kann. Weniger ist üblicherweise mehr. Dies ist nicht nur im Sinne der unnötigen Gabe eines Medikamentes zu verstehen, sondern auch bei sogenannten diagnostischen Maßnahmen:

Beispiel 1: ein Patient klagt immer wieder über „Herzschmerzen.“ Dahinter erkennt der Arzt frühzeitig in dem Gespräch und in der Untersuchung eine Herzangst (Herzphobie), eine organische Ursache schließt er aus. Trotzdem kommt der Patient immer wieder in die Sprechstunde und wünscht sich zur Beruhigung ein EKG. Der Arzt möchte den Patienten beruhigen und führt regelmäßige EKG`s durch. Entstandener Schaden am Patienten: Die Herzphobie chronifiziert, der Patient erkennt am Verhalten des Arztes, dass er DOCH etwas am Herzen haben muss (Sonst würde er ja kein EKG schreiben). Neben dem weiteren finanziellen Schaden (durch die Durchführung der EKG`s) ist dies der weitaus größere Schaden, denn er bleibt. Selbst eine Psychotherapie wird den Patienten kaum von seiner Angst befreien können.

Beispiel 2: ein Patient klagt über Halsschmerzen. Der Arzt diagnostiziert einen Virusinfekt. Er empfiehlt dem Patienten sich zu schonen, bei Bedarf Tee oder schmerzlindernde Medikamente. Nach 3 Tagen stellt sich der Patient wieder vor. Er bestehe jetzt auf ein Antibiotikum. Der Arzt möchte keinen Streit, gibt nach und schreibt dem Patienten ein Antibiotikum auf. 3 Tage später geht es dem Patienten wieder gut. Entstandener Schaden: der Patient ist überzeugt, dass ihm das Antibiotikum geholfen hat, er verlangt es nun fortan, es ergibt sich ein wirtschaftlicher (Verordnung eines Medikamentes) und gesundheitlicher Schaden (Resistenzentwicklung).

Beispiel 3: ein Patient sucht den Arzt aufgrund seit 2 Wochen bestehenden Rückenschmerzen auf. Es handelt sich um einen unkomplizierten Kreuzschmerz (Hexenschuss). Da der Patient diese Beschwerden zum wiederholten Male hätte, verlangt er „endlich mal eine ordentliche Abklärung“. Obwohl keine neurologische Symptomatik (z.B. Lähmung, Taubheitsgefühl) vorliegt und der Schmerz nicht ins Bein zieht, möchte der Arzt „Sicherheit“ haben und schickt ihn zum MRT. Im MRT zeigt sich ein Bandscheibenvorfall, der allerdings nicht Ursache der Beschwerden ist, sondern ein ZUFALLSBEFUND. Der Patient ist misstrauisch und besteht da drauf, dass dieser Bandscheibenvorfall nun die Ursache seiner Beschwerden sei. → Entstandener Schaden: der Patient behält unter Umständen seine Beschwerden (denn er HAT ja was: den Bandscheibenvorfall) oder die Symptomatik verschlechtert sich gar. Wirtschaftlicher Schaden: Kosten für zukünftige Behandlungen (z.B. Krankengymnastik, Schmerztherapie) und MRT.

(alle Beispiele sind wahre Fälle, und fast jeder Arzt tritt auch in so eine Falle)

Ein weiteres trauriges Beispiel betrifft die Behandlung in Kliniken. Auch hier wurde im Rahmen einer Untersuchung festgestellt, dass viel zu viel an Diagnostik durchgeführt wird. Aber nicht nur das! Auch ist das Wissen um die Phänomenologie in der Klinik häufig recht gebremst. Obwohl es bekanntlich mehr funktionelle (also nicht organische) Brustschmerzen gibt, wird blind die übliche Diagnostik „abgearbeitet“. Hier wäre die Erkenntnis bei Klinikärzten wichtig: was häufig ist, ist häufig, was selten ist, ist selten. So sind Brustschmerzen durch Blockierungen und Verspannungen ein häufiges Phänomen, hingegen Brustschmerzen im Rahmen eines Herzinfarktes selten. Das wissen selbst die Kardiologen, die nach einer eigenen Studie etwa die Hälfte der Patienten, die sie aufsucht einer nicht organischen sondern eher einer psychisch bedingten Ursache zuteilt.

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