Immer wieder werden Vorwürfe geäußert, einmal aus der, ein andermal aus der anderen Richtung. Die geimpften Bürger werfen den ungeimpften Bürgern vor, Schuld an der Misere zu sein, weil sie sich haben nicht impfen lassen, die ungeimpften werfen den geimpften wiederum vor, durch ihre Sorglosigkeit erst recht zu dem Ausmaß der vierten Welle beigetragen zu haben. Schuld hat keine der beiden Seiten! Anfang 2020 kam das Virus nach Europa, ein scheinbar sehr erfolgreiches Virus, weil es innerhalb kürzester Zeit die ganze Welt erfasst hat. Durch dieses Phänomen entstand eine Angst. Eine große Angst. Die einen haben Angst vor dem Virus, die anderen vor den Maßnahmen, die durch Menschenhand geplant und umgesetzt wurden. Statt der vielen Vorwürfe und Schuldzuweisungen wäre es Zeit, Verständigung zu suchen. Verständigung ist allerdings nur möglich, wenn jeweils der eine den anderen versucht, zu verstehen. Und an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Unüberbrückbar scheinen die Differenzen zu sein, zu hoch die Hürden. Dies ist auch kein Wunder, wo doch auch von der Politik geäußert und gezeigt wird, die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, müsste man nur „überzeugen“, Verständnis sei nicht angebracht. Selbst unser Bundespräsident scheint diese Fähigkeit nicht zu haben, wenn er „trotz der hohen Zahlen von Neuinfektionen“ äußert „das kann ich nicht verstehen“. Dabei gibt es schier unendliche Möglichkeiten, zu verstehen, dass Bürger sich nicht impfen lassen wollen. Zum Beispiel haben die einen Angst vor dem Impfstoff, weil er zu kurz auf dem Markt ist, weil Langzeitwirkungen noch nicht bekannt sind, weil unter dem Druck der Politik Abläufe zur Genehmigung eines Impfstoffes abgekürzt bzw. parallel gelaufen sind. Menschen verstehen nicht, dass ein Impfstoff, der üblicherweise zehn bis zwölf Jahren bis zu seiner Vermarktung braucht, innerhalb eines Dreivierteljahres zugelassen werden kann. Vor allem Eltern mit Kindern fragen sich, ob das Impfen Not tut, weil Kinder äußerst selten von Covid-19 betroffen sind. Sie sorgen sich um die Gesundheit ihrer Kinder. Andere wiederum haben Misstrauen gegenüber Medikamente jeglicher Art, dass sie Angst haben, dass diese Medikamente mit Ihnen irgendetwas machen, was sie nicht möchten. Bekannr ist dies Phänomen vor allen Dingen bei der Behandlung mit Medikamenten aus der Klasse der Antidepressiva. Auch hier besteht große Angst, dass die Medikamente auf die seelische Gesundheit wirken, mit der Folge eines veränderten Verhaltens, Fühlens oder Denkens. Andere wiederum wägen ab, ob sie, weil sie jung sind und gesund lieber auf die Impfung verzichten, in dessen Folge sie durchaus krank werden können. Auch gibt es Bürger, die davon überzeugt sind, dass die Immunität durch eine durchlebte Covid-19 Infektion besser oder langanhaltender ist als eine durch die Impfung. Schließlich gibt es viele Bürger, die sich sagen, wir sind gesund, treiben regelmäßig Sport, ernähren uns vorbildlich, die Wahrscheinlichkeit für einen leichten bis moderaten Verlauf liegt bei 85 %, ich gehe das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, ein. Nicht zu vergessen die Menschen und Bürger, die unter einem Unrechtsregime lebten oder leben mussten, die die Handlungen der Politiker seitdem mit Argwohn betrachten und auch die, die aus ihrer Lebensgeschichte heraus unter Entscheidungen von Behörden leiden mussten sowie Personen, die gelernt haben, Hilfe ist immer an Bedingungen geknüpft, im schlimmsten Fall mit einer Entwertung der eigenen Persönlichkeit.

Sie hören also hier heraus, dass es viel um das Thema Misstrauen geht, welches durchaus an die eigene Lebensgeschichte geknüpft sein kann oder mit eigenen Erfahrungen und Erlebnissen zu tun haben kann. Das teilweise von Politikern, Wissenschaftlern und Ärztevertretern mit ihrer hilflosen Wut geäußerte Unverständnis gegenüber Nicht gegen SARS-CoV2 geimpften Personen muss in diesem Zusammenhang das Misstrauen dieser Bürger bestärken. Und ist deswegen absolut unangemessen. So gewinnt man kein Vertrauen. Wer Vertrauen gewinnen will, muss die Menschen verstehen. Und offensichtlich gibt es nicht viele Politiker in dieser Zeit, denen es um Verständigung und nicht um Schuldzuweisungen geht. Vertrauen setzt Verständnis voraus, welches Politiker als Vorleistung geben müssten, um etwas zu bewirken.

Wesentlicher Bestandteil in der Psychotherapie ist das Verstehen der mir gegenüber sitzenden Person. Dabei ist es das wichtigste, das aus seiner Geschichte herausentwickelte Gewordensein des Patienten einfühlsam nachzuvollziehen. Merkt der Mensch mir gegenüber, dass ich ihn verstehen möchte, weil ich an ihm interessiert bin, ist er auf seiner Seite wieder bereit, sich zu öffnen. Dies führt auf meiner Seite wiederum zu mehr Verständnis, was auf der anderen Seite zu einem Gefühl des Vertrauens sich entwickelt. Dies ist ein sich gegenseitig verstärkender Prozess, der sich immer weiter entwickelt, und das Potenzial zur Veränderung hat.

Diesen Prozess sollten wir nicht nur in der Psychotherapie, sondern aktuell gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft vorantreiben!