Wie ich bereits im 1. Teil berichtet habe, ist „Einbildung“ ein überall vorkommendes menschliches Phänomen. Ich werde im Verlauf folgende Begriffe synonym verwenden:

1. Vorstellung (Imagination): wenn ich mir etwas „vorstelle“, so nutze ich die EinBILDung, um zum Beispiel mich „vor“ eine Szene/Situation zu „stellen“: ich sehe quasi aus der Position eines Betrachters

. Dazu nutze ich Bilder von Personen, wie ICH sie sehe, erlebe oder empfinde. Hinzutreten allgemeine Erfahrungen und im speziellen die Beziehungen zu diesen Personen. Beides lasse ICH auf einer „inneren Bühne“ lebendig werden.

In der Psychologie heißt dieses Phänomen auch Antizipation. Durch diese Fähigkeit (in der Tiefenpsychologie auch als als ICH-Leistung/Funktion beschrieben) sind wir in der Lage, uns auch in belastende Situationen (zum Beispiel Prüfung) „hinein zu versetzen“.

2. Wie sie bereits merken, tritt noch eine weitere ICH-Fähigkeit hinzu: ich kann aus der Position des Betrachters heraustreten und mich in die auf der Bühne befindenden Personen „hineinversetzen“. Dies wird als Identifikation bezeichnet. Identifikation ist die bedingungslose Voraussetzung, um empathisch zu sein (sich in den anderen „hinein zu fühlen“).

3. Fantasie: quasi als Resultat der beiden oberen Fähigkeiten ist der Mensch in der Lage Kreatives zu gestalten. Er kann Traumwelten, Traumgestalten und Traumgeschichten entwerfen. Er kann in äußeren Gestalten (Bergsilhouette, Wolkengebilde etc.) Gesichter oder gar Szenen sehen, und damit ein Stück seiner eigenen Lebenswirklichkeit nach außen projizieren.

 

Diese Fähigkeiten sind allerdings Ursache auch dafür, dass wir an einer Wahrnehmungsverzerrung leiden. Und damit meine ich jeden Menschen. Dessen gewiss, muss ich manchmal lachen, wenn ich zum Beispiel etwas „ÜBERsehe“ oder „ÜBERhöre“. Denn allein diese Begriffe erklären bereits schon, was ich als Mensch aus meiner Wahrnehmung herausfiltere, was ich also bereits dafür „tue“, dass meine Realität eine andere ist. Sollte hier das Thema Schuld aufkommen, so muss ich hinzufügen: jeder von uns ist betroffen, aber auch gleichzeitig dafür verantwortlich, da dies eine aktive Leistung unserer Psyche ist.

 

Aber damit nicht genug: nicht nur die Sensorik, das Mittelhirn mit seinen vielen Filterfunktionen und Verbindungen zum neuronalen und hormonellen System sind Grund für unsere vielen „Macken“, es gesellen sich zuletzt noch sogenannte „Abwehrmechanismen“ oder wie Rolf Dobelli beschreibt „Denkfehler“ hinzu.

 

Abwehrmechanismen sind Folge psychischer Leistung (Ich-Leistung) und stellen den Versuch dar, eigene Impulse und Affekte (von Freud noch als „ES“ bezeichnet) mit eigenen Regeln/Gesetzen (in der Tiefenpsychologie als „Über-ICH“ bezeichnet), eigenen Bedürfnissen und nach Möglichkeit gesellschaftskonform unter einen Hut zu bringen, sozusagen unter dem Bild eines „suboptimalen“ Kompromisses. Suboptimal deswegen, weil mindestens einer der genannten „zu kurz“ kommt.

Es seien hier einige genannt:

1.Projektion: einer der häufigsten Abwehrmechanismen, den wir regelhaft in unseren Alltag einbauen. Eigene Impulse oder Gefühle werden dem anderen gegenüber zugeschrieben. Beispiel: der/das Fremde mir gegenüber macht mir Angst. Die hieraus resultierende Wut schreibe ich dem Fremden zu. Jetzt erscheint mir der/das fremde bösartig und feindselig. Dass ich jetzt vor dem Fremden Angst habe, ist nur logisch.

Die Angst des Beschreibenden ist für diesen vielleicht gerade noch spürbar, die Wut allerdings nicht. So kommt es, dass wir unsere eigene Ablehnung oder Feindseligkeit beim Gegenüber finden.

Dieser Abwehrmechanismus ist insofern auch sozialpsychologisch interessant, weil wir ihn in der aktuellen „Flüchtlingspolitik“ wiederfinden. Aber nicht nur dort, sondern auch bei den vermeintlichen „Islamisten“. Ein Großteil der Fremdenfeindlichkeit ist damit Projektion.

 

2.Identifikation: wie bereits oben beschrieben, ist es durch die Identifikation möglich, mich in den anderen hinein zu versetzen, ihm nach zu empfinden und damit ihn zu verstehen. Allerdings ist dies auch ein Abwehrmechanismus, bei dem die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zurückgestellt werden, um sich auf die Seite des Gegenübers zu stellen. In diesem Sinne ist es das umgekehrte Phänomen der Projektion, bei dem Gefühle und Affekte des Gegenübers zum meinen werden.

 

3.Reaktionsbildung: einer der häufigsten Abwehrmechanismen, den vor allen Dingen Angehörige der sozialen Berufe sich zu eigen machen. Hierbei werden eigene Impulse ins Gegenteil verkehrt. Wenn also ein Patient außer sich vor Wut die Krankenschwester anschreit, diese jedoch immer freundlicher wird, können Sie gewiss sein, dass hier eine Reaktionsbildung vorliegt. Diese menschliche Fähigkeit wandelt die Angst und die Wut der Krankenschwester ins Gegenteil: Sie wird „überaus“ freundlich.

 

4.Rationalisierung: Rolf Dobelli nennt dieses Phänomen/Denkfehler hingegen „kognitive Dissonanz“. Dabei beschreibt er den Affekt des Fuchses („Lust auf Trauben“) und seinen verzweifelten Versuch, die Trauben vom Weinstock herunter zu holen. Den Ärger „rationalisiert“ der Fuchs dadurch, dass er meint: „Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben“. Hierdurch ist der Ärger (Affekt) darüber, dass der Fuchs die Trauben nicht bekommt, für ihn nicht mehr spürbar, er kann sich mit seiner Frustration abfinden. Gleichzeitig ist es aber ein erstaunliches Phänomen der Selbsttäuschung.

 

5.Verschiebung: ebenfalls ein häufiger Abwehrmechanismus, den wir Menschen benutzen. Grundlage hiervon ist, dass wir Situationen/Plätze/Orte/Menschen meiden, an denen/bei denen wir uns nicht wohl fühlen. Beispiel ist hier die für viele bekannte Agoraphobie (wörtlich übersetzt: Furcht vor Plätzen): die eigenen Ängste/Impulse, sich darzustellen und sich zu zeigen werden auf den Ort verschoben: der Betroffene muss nun nicht mehr seine „Scham“/seine Angst spüren, er meidet einfach das Kaufhaus/Veranstaltung/Feier usw.

 

Dieses ist nur ein kleiner Auszug von den vielen Abwehrmechanismen, die ursprünglich von Anna Freud und folgend von Melanie Klein erstmalig beschrieben worden sind.