Nachdem ich im ersten Teil meines Vortrages über das Menschliche Versagen die These aufgestellt hatte, Fehler dienten letztendlich der bestmöglichen Anpassung einer Art (nicht nur dem Menschen, sondern jedem Lebewesen auf diesem Planeten) an eine sich stetig wandelnde Umwelt im Sinne von Evolution und Selektion und in meinem zweiten Teil behauptet habe, dass es sich beim Scheitern und Versagen überwiegend um unbewusste körperliche, mentale und emotionale Prozesse handelt, die eben nicht nur dem Zweck der Anpassung dienten, sondern auch als Form einer Notfallsimulation verstanden werden müssen, um auf (schwerwiegende) Fehler, die zukünftig auftreten könnten, adäquat vorbereitet zu sein (Antizipation), so erweitere ich in meinem dritten Teil den Blick auf das Menschliche Versagen noch um eine ganz wesentliche Perspektive, nämlich das Versagen im Bindungsverhalten zwischen Individuen.
Der Mensch ist zu Beginn des Lebens ganz wesentlich von seiner Umgebung abhängig. Er ist auf das soziale Gefüge hochgradig angewiesen. Er braucht eine ausreichend interessierte und versorgende Umwelt. Hat er dies nicht, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass er Schaden davon trägt. Dieser Schaden zeigt sich bereits früh im Bindungsverhalten (innerhalb der ersten 18 Lebensmonate). „Alles ist Beziehung“, behauptete bereits schon der Begründer der Bindungstheorie John Bowlby, und meinte damit, dass wir ohne ein „Gegenüber“ (Freud nannte die Bezugsperson-meist die Mutter-„Objekt“) nicht existieren, uns nicht entwickeln können. Davon ausgehend, dass etwa 60 % in einer Population (gemeint ist eine Gesellschaft wie die Deutschen, Engländer, Franzosen etc.) „sicher-gebundene“ Individuen darstellen, 40 % allerdings Auffälligkeiten im Bindungsverhalten zeigen, eröffnet sich hier ein ganz neue Aspekt in Bezug auf Menschliches Versagen. Denn diese Auffälligkeiten im Bindungsverhalten beruhen auf Fehlinterpretationen in menschlichen Beziehungen. So deuten und antizipieren sicher-gebundene Individuen das Verhalten ihres Gegenübers eher korrekt, während es häufig bei unsicher-gebundene Individuen zu Missinterpretationen kommt. Diese beruhen überwiegend auf fehlerhaften Arbeitsmodellen, die unsicher-gebundene Individuen im Säuglings-und Kleinkindalter entwickelt haben. Arbeitsmodelle sind Muster, die der Säugling bzw. das Kleinkind als Normalität in einer Beziehung kreiert, um mit seinem Gegenüber (Objekt) umgehen zu können. Bereits in der Objektbeziehungstheorie wurde die Bedeutung der Beziehung des Kindes zu seinem Gegenüber betont und darauf hingewiesen, dass vor allem die Beziehungsaspekte (bei John Bowlby als Arbeitsmodell bezeichnet) und weniger das Objekt als solches integriert (im Sinne von Abspeichern) wird. Dabei meint Integration den komplizierten Vorgang der Aufnahme und des Abspeicherns des Erlebens im Umgang mit dem Gegenüber. Diese inneren Arbeitsmodelle schließlich sind die Motoren, die die oben erwähnten unbewussten Prozesse als Basis des Versagens initiieren. So ist der größte Anteil der psychisch gesunden Menschen bei den sicher-gebundene Individuen zu finden, während sich unsicher-gebundene Individuen ganz überwiegend mindestens einmal in ihrem Leben psychotherapeutische Hilfe suchen muss.
In meinem dritten Teil über das Menschliche Versagen habe ich damit gezeigt, dass Fehlerhaftigkeit auch aufgrund eines insuffizienten Arbeitsmodells (Beziehung/Bindung) beruhen kann. Dieses dürfte im Leben zwangsläufig zum Versagen oder Scheitern verurteilt sein. Das Individuum-das sozial eingebunden ist-ist dann gezwungen, sein Arbeitsmodell zu verwerfen oder krank zu werden. Dabei stellt das Krankwerden bereits einen suboptimalen Kompromiss zwischen Aufgabe und Scheitern des Arbeitsmodells und Anerkennung der Realität dar.
In meinem ersten Teil des Vortrages über menschliches Versagen habe ich die These aufgestellt, dass die Fehlerhaftigkeit des Menschen kein Zufall ist, sondern eine Notwendigkeit, um sich den Veränderungen einer sich stetig wandelnden Umwelt bestmöglich anzupassen. Dabei verwies ich auf zwei Phänomene, denen sich alle Lebewesen auf diesem Planeten seit Anbeginn der Welt unterwerfen müssen: Evolution und Selektion. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, habe ich dadurch dem Versagen, Scheitern bzw. der Fehlerhaftigkeit eine Bedeutung, einen Sinn gegeben. Ich habe behauptet, dieser sei intentional zu verstehen, also auf ein bestimmtes Ziel gerichtet, nämlich die optimale Anpassung an die Umwelt. Aus rein deterministischer Perspektive würde ich hingegen anführen, dass die Fehlerhaftigkeit keinen Sinn hat und allein darauf beruht, dass noch nicht alle Fehler - ob körperlich, mental oder emotional - ,die dem Mensch unterlaufen, ausgemerzt sind. In diesem zweiten Fall dürften wir Fehler und Versagen als unnötiges Restrisiko verstehen, dass es gelte, zu beseitigen. Wenn Sie um sich schauen, verstehen die meisten Menschen Versagen genau in diesem Sinne. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass allgemein das Bemühen zu beobachten ist, menschliches Handeln durch zuverlässigere Techniken (zum Beispiel Roboter, Künstliche Intelligenz) zu ersetzen.
In meinem zweiten Teil dieses Vortrages möchte ich auf einen weitere Perspektive der Sinnhaftigkeit von Fehlern hinweisen. Dabei geht es weniger um die Fähigkeit der Anpassung des Menschen an seine Umgebung und den aus Fehlern sich entwickelnden Lernprozess mit neuen Lösungsansätzen, sondern viel mehr um unbewusste Prozesse der Simulation. Dies gilt es nun im Folgenden zu erläutern:
der Mensch befindet sich im Besitz einer einzigartigen Fähigkeit, die wir als Ich-Leistung bezeichnen, die uns die Möglichkeit gibt, Handlungsprozesse im Voraus zu durchdenken: die Antizipation. Die Fähigkeit, eigenes und fremdes Verhalten im Vornherein ein-und abzuschätzen. Dabei benutzen wir einerseits unsere Fantasie, andererseits das Wissen um begrenzte Optionen des menschlichen Verhaltens in bestimmten Situationen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, wie viel positive Erfahrung das Individuum in Bezug auf Versagen in der Vergangenheit gemacht hat. Positive Erfahrung meint hier, dass Eltern Kindern zugestehen sollten, Fehler zu machen ohne dabei die Beziehung zum Kind infrage zu stellen. Dabei sollten Eltern dem Kind vermitteln, dass Fehler nichts Schlimmes sind, sondern etwas, aus das man lernen kann. Sicher-gebundene Individuen (der Begriff „sicher“ bezieht sich hier auf die Bindungstheorie) können dabei auf einen größeren positiven Erfahrungsschatz zurückgreifen als unsicher-gebundene. Dadurch werden sicher-gebundene Individuen im Gegensatz zu unsicher-gebundenen neue Situation eher erfolgreich - hier im Sinne von korrekt – antizipieren.
Meine Darstellung hier bezog sich zunächst auf einen bewussten Prozess.
Sie sollten allerdings wissen, dass solche Prozesse meist unbewusst ablaufen. Und hier wird es spannend. So wissen wir heute, dass bestimmte sich wiederholende körperliche Vorgänge (Herzrhythmus, Atemrhythmus, Denkprozess etc.) regelmäßig von „Fehlern“ durchzogen sind. Als Beispiel seien „gutartige Herzrhythmusstörungen“ im Sinne von Herzstolpern oder eine plötzliche „Denksperre“ im Sinne von Denkabbrüchen angeführt. Beides kennen Sie! Wissenschaftlich untersucht findet sich kein einziger krankhafter Befund bei den Probanden. Bei jedem von uns Menschen lassen sich regelmäßig „Extrasystolen“ nachweisen. Wer bereits schon einmal ein Langzeit EKG angelegt bekommen hatte, braucht nur auf die Auswertung zu schauen. Diese als „Extra Herzschläge“ zu bezeichnenden Fehler der Herztätigkeit verweisen auf eine vorzügliche Herz-Gesundheit, wissen wir mittlerweile. Die meisten Menschen spüren diese Fehler nicht. Meistens sind es Angstpatienten, die diesen Extra Herzschlägen eine Bedeutung beimessen und so vermehrt durch Lenkung ihrer Aufmerksamkeit auf ihre Herztätigkeit dieses Stolpern spüren (was die Symptomatik übrigens verschlimmert). Auch im Bereich des Denkens passiert es uns regelmäßig: mit einer bestimmten Motivation setzen wir uns in Bewegung (zum Beispiel, etwas aus dem Keller zu holen) und am Ort angekommen, wissen wir plötzlich nicht mehr, was wir wollten.
Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass dies vom Körper gezielt eingesetzte Fehler sind, um die Funktionstüchtigkeit eines Organsystems zu überprüfen. Dabei sei hier auf ein ganz einfaches Beispiel hingewiesen: ob bei der Feuerwehr, Polizei oder Bundeswehr, der Mensch „simuliert“ Notfallsituation. Dabei antizipiert er unter Zuhilfenahme von Fantasie und Erfahrung, welcher Notfall auftreten kann und welche Möglichkeiten bestehen, diesem zu begegnen. Nichts anderes passiert in unserem Körper! Notfallsimulation!
(Kleiner Hinweis: Sie erkennen ein krankes Herz daran, dass es sich keine Fehler im Sinne von Extra Herzschlägen mehr „erlaubt“)
Doch diese unbewussten Prozesse laufen eben nicht nur im körperlichen oder mentalen, sondern eben auch im emotionalen Bereich ab. Es scheint also, dass es hier noch spannender wird. Behauptung: Versagen, Scheitern oder Fehler machen als emotionalen Prozess zu verstehen, eine seelische Notfallsituation zu simulieren, um zu überprüfen, ob die Psyche damit umgehen kann.
Das mag für sie „der Hammer“ und unglaublich sein, ist aber Realität. Als einfachstes und bestes Beispiel hierfür sei unsere Traumtätigkeit angeführt. Meist lange vor einer Handlung (z. B. die Trennung vom Partner oder dem Abschied von einem Sterbenden) „testet“ der Träumende seine emotionale Reaktion und seine Umgangsstrategien mit der erwarteten antizipierten Situation. Wir kennen alle den Gedanken und das erhebende Gefühl „Gott sei Dank, es war nur ein Traum“. Wir kennen auch alle die emotionale Ergriffenheit im Rahmen eines Traumes. Im Traum sind wir meistens sehr emotional. Und der Grund , dass es im Traum passiert, liegt - wie oben bereits erwähnt – darin, einen Notfall zum simulieren. Und dieser ist zeitlich begrenzt und bei Wiedererlangen unseres Bewusstseins abgeschlossen. Unbewusst wird jeder von uns daraus Konsequenzen ziehen: entweder zu der Erkenntnis kommen, dass die geplante Handlung emotional zu belastend ist und bisher keine erfolgreiche Strategie im Umgang gefunden wurde oder zur Gewissheit gelangen, dass die neue Lebensaufgabe oder der Entwicklungsschritt gegangen werden kann und emotional tragbar ist.
Freud hat sich überwiegend mit solchen Prozessen auseinandergesetzt. Er hatte früh erkannt, dass der größte Teil unserer alltäglichen Handlungen, unseres Denkens und unseres Fühlens auf unbewussten Prozessen basiert. Vor allen Dingen der Bereich des Fühlens - des emotionalen Erlebens - hat er sich gewidmet. Er hat versucht, diese unbewussten Prozesse sichtbar zu machen, hat dafür Gedankenmodelle entworfen, die anfangs recht mechanistisch wirkten. Heute wissen wir von den unbewussten Prozessen und machen diese anhand von Traumdeutung, Fehlleistungen (Fehlhandlungen, Fehlgedanken, Falschaussagen etc.) und Beziehungsgestaltung sichtbar.
In diesem zweiten Teil meines Vortrages über das menschliche Versagen habe ich die Perspektive der Sinnhaftigkeit von Versagen und Scheitern um einen neuen Aspekt erweitert: Fehler machen, um emotional rechtzeitig und adäquat einer noch nicht bestehenden, aber möglichen Situation zu begegnen.
In meiner psychotherapeutischen und tiefenpsychologischen Behandlung nutze ich regelmäßig ein ubiquitäres (also überall vorkommendes) menschliches Phänomen in Beziehungen:
das Phänomen der Übertragung.
Anbei meinen Vortrag vom 16.11.18
Liebe Besucher der website,
innerhalb meines Vortrages wurde von mir ein Video gezeigt. Den link zum Video finden Sie unter
https://www.youtube.com/watch?v=pDs73nMRqqY
Innerhalb des Videos werden nacheinander 3 Kinder mit drei verschiedenen Bindungsstilen gezeigt: als erstes ein "sicher gebundenes Kind". Danach ein "unsicher-vermeidendes Kind", schließlich ein "unsicher-ambivalentes Kind".
Den vollständigen Vortrag finden Sie unten als Anhang.
Auch wenn Perfektion der Wunsch und das Ziel der meisten Menschen ist, so gehört das
Scheitern und Versagen zu uns wie die Wolken zum Himmel. Der Mensch scheint ein fehlerbehaftetes Wesen zu sein und so mancher fragt sich, welche Ursache dahinterstecken könnte. Ich behaupte-und damit stehe ich nicht allein-, dass wir Fehler machen müssen, ja sogar Versagen in unserem Leben brauchen. Diese für sie vielleicht spontan nicht nachvollziehbare Äußerung will ich im folgenden erläutern.
Für die meisten von ihnen dürfte es keine neue Erkenntnis sein, dass Fehler in der Geschichte der Menschheit mit Evolution zu tun hat. Um im Kampf ums Überleben zu bestehen, bedurfte und bedarf es nicht nur beim Menschen Strategien. Dabei sind die einen erfolgreich, die anderen nicht. Neben dem Menschen sind auch alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten der Selektion und den Anpassungsprozessen unterworfen. Wer sich nicht ausreichend oder schnell genug auf die sich stetig verändernde Umwelt (z.B. Klimawandel) einstellen kann (also keine erfolgreiche Strategie besitzt), verschwindet unwiderruflich in der Historie (so z.B. der Neandertaler).
Aber warum hole ich soweit aus? Einfache Antwort: Evolution fand bereits vor 20.000 Jahren genauso wie heute in unserem Kopf statt! Der Kern des „Problems“ ist häufig „reine Kopfsache“. Das muss ich erklären. Die Auswirkungen unserer Fehlerhaftigkeit zu Beginn der Menschheitsgeschichte dürfte so gravierenden Schaden zur Folge gehabt haben, dass die Notwendigkeit (im wörtlichen Sinne „Not“) bestanden haben dürfte, diese häufig tödlich endenden Situationen (z.B. statt den weglaufenden Artgenossen im Herdentrieb zu folgen, stehen bleiben und abwarten, was aus dem Gebüsch gerannt kommt: der Tiger) zu verhindern. Das ist enorm wichtig, zu wissen. Denn aus diesem „Bestreben“ resultierend, dürfte über Jahrtausende hinweg Veränderungen in dem noch damals jungen menschlichen Gehirn stattgefunden haben, mit dem Ziel, lebensgefährliche oder bedrohliche Lebenslagen rechtzeitig zu erkennen. Mittlerweile wissen wir, dass diese Veränderungen einen besonderen Bereich unseres Gehirn betroffen haben, nämlich das Zwischenhirn (auch gern als „Reptilienhirn“ bezeichnet). Im Zwischenhirn ist es eine unser Thema betreffende funktionelle Einheit, das limbische System (unten folgt eine Erklärung). Funktionell bedeutet hier, dass unterschiedliche anatomische Strukturen beteiligt sind, die aber auch andere Aufgaben haben, nicht nur die Fehlererkennung. Dem limbischen System obliegt allerdings als primäre Aufgabe, Fehler rechtzeitig zu detektieren und durch rasches Handeln zu vermeiden. Ein Ort also, wo jegliche Fehlerhaftigkeit (Ziel: Perfektion) versucht wird, zu beseitigen.
Anatomisch gehören folgende Strukturen zum sogenannten limbischen System:
Hippocampus, Fornix, Corpora mamillaria, Gyrus cinguli, Amygdala, Thalamus etc.
Im limbischen System geht es um die Verknüpfung von Erleben (Emotionen), Erfahrungen (Gedächtnis) und Verhalten (Handeln). Hier wird entschieden, was (emotional) wichtig oder unwichtig ist, was ins Kurzzeit-oder ins Langzeitgedächtnis kommt, was nach Erfolg oder Misserfolg aussieht, was Angst-, Scham-oder Schuldgefühle hervorrufen könnte, ob ich sofort reagieren muss oder nicht.
Sigmund Freud (der Begründer der Psychoanalyse, Psychotherapie und ersten Entwicklungspsychologie) hätte aus heutiger Sicht gesagt: das limbische System ist der Ort, wo abgespeichert ist, was Lust und Unlust auslöst. Leider wird aber an diesem Ort diese Unlust (Angst) schnell mit dem Handeln verknüpft, was zur Folge hat, dass wir uns nur sehr schwer unseren Ängste und Befürchtungen stellen und stattdessen lieber weglaufen! Und hier haben wir bereits das entscheidende Dilemma:
„Stelle ich mich der Angst oder Unlust und mache durchaus Fehler, aber eventuell auch neue Erfahrungen, und entwickele ich mich weiter
oder
meide ich die Angst oder Unlust und wiege mich in Sicherheit (wozu unser limbisches System uns gerne drängt) und verändere lieber ich nichts“